fette linie

 

Sie ist zeichnerisches Element und geometrisches Gebilde. Sie akzentuiert und ruft Assoziationen hervor, kann dekorativ wie abstrahierend wirken. Doch über ihren graphischen Einsatz hinaus ist die Linie vor allem eines ˗ verbindende oder separierende Kraft.

In seiner Rauminstallation »fette linie« nimmt sich Henry Wegener eben letzterer Funktion an. Dabei kann der Titel des Werkes auf den ersten Blick irreführend erscheinen, enthebt sich doch seine Linie ihrer Eindimensionalität und wird zum raumgreifenden Objekt. Das Hauptstück und zugleich einziger Bestandteil seiner Arbeit ist eine aus Gipskarton errichtete und in einem Signalorange gestrichene Wand. Speziell konzipiert für die Cottbuser Galerie Haus 23 wurde diese, ausgehend von deren Grundriss, wie eine Linie mitten durch die vorhandenen Räumlichkeiten gezogen und stellt somit einen massiven Eingriff dar. Mit einer Gesamtlänge von über zehn Metern und einer Höhe von zwei Metern erstreckt sich der Aufbau in zwei Teilen über beide Etagen der Galerie. Dabei verschmilzt das Objekt regelrecht mit den bestehenden Räumen. Es fügt sich baulich exakt ein, sodass ein nahtloser Abschluss zu jeweils beiden Enden der ursprünglichen Wände entsteht. Lediglich ein etwa siebzig Zentimeter schmaler Spalt oberhalb der Wand lässt den sich dahinter befindlichen Raum erahnen und verweist somit auf die eigentliche Größe der Galerie.

Eine besondere Ausdruckskraft obliegt der Farbgebung der Installation. Das einheitliche, grell- flimmernde Orange hebt sich demonstrativ von seiner Umgebung ab. Das befremdliche Signal, welches von der Farbe ausgeht, versetzt den Betrachter automatisch in eine Art Achtsamkeit und verstärkt zusätzlich das Gefühl, sich vor einem unüberwindbaren Hindernis zu befinden. Dabei spielt Wegeners Installation ganz bewusst mit den ästhetischen Erfahrungen und der veränderten Wahrnehmung seiner Rezipienten. Indem er praktisch eine Neugestaltung der Galerieräume vornimmt und diese auf ein Minimum reduziert, beeinflusst er nicht nur deren räumliche Qualität, sondern negiert ihre Funktion selbst.

Mit seiner ebenso provokanten wie ironischen Intervention bricht der Künstler mit klassischen Erwartungshaltungen und hinterfragt die Mechanismen eines Galeriebetriebs und seines Publikums. Das inszenierte Verschwinden der Räumlichkeiten setzt dabei gewollt Emotionen und Reaktionen frei und stellt die grundsätzliche Frage nach der Zukunft der Galerie. 

 

Friederike Breuer

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